Über „Zusammenhalt in und nach der Krise“ sprachen Reinhold Bilgeri, Franz Lang, Bernhard Heinl, Thomas Hauser, Rita Aschenbrenner-Lang und Heide Kerschbaumer.
„Es geht um Gefühl, Berührt sein, Betroffenheit, es geht um Emotionen“, eröffnete Kultur.Region.Niederösterreich-Geschäftsführer Martin Lammerhuber, das ausgebuchte Symposium „Zusammenhalt in und nach der Krise“. Die exklusive Gesprächsrunde bildete den zweiten Teil der Reihe „Kultur der guten Nachbarschaft“, die Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner Ende Mai 2024 mit der Präsentation der übergeordneten Initiative „Nachbarschaft leben“ eröffnet hatte.
Noch ganz unter dem Eindruck der dramatischen Bilder der Hochwasserkatastrophe in Niederösterreich appellierte Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner per Videobotschaft an die Solidarität in der Gesellschaft. „In den vergangenen Wochen wurden wir Zeugen großer Verzweiflung, tragischer Schicksale. Wir erlebten aber auch Hoffnung durch den selbstlosen Einsatz tausender Freiwilliger – sei es in der Feuerwehr, in den Rettungsorganisationen aber ebenso in der spontanen informellen Nachbarschaftshilfe. In dieser Ausnahmesituation konnten wir sehen: Ehrenamt ist unsere Stärke, Ehrenamt ist unser Stolz.“
Mit den Folgen von Krisen auf die menschliche Seele beschäftigten sich auch die fünf sehr eindringlichen Referate der Vortragenden. In sehr bewegenden und berührenden Worten verhandelten sie die sehr ambivalente Frage, wie weit reicht der Zusammenhalt in der Gesellschaft wirklich? Wenn der erste Schock vorüber ist, wenn die mediale Berichterstattung nachlässt, wenn die Menschen, allein vor den Trümmern ihrer Existenz stehen und die Wucht der Katastrophe, die eigene Ohnmacht vor Augen führt. Wenn es um die Verteilung der Hilfsmittel geht und die Aufarbeitung zu lange dauert. Dann stellt sich die Frage: Leben wir in einer egoistischen oder altruistischen Welt.
Der renommierte Filmemacher, Autor und Musiker Reinhold Bilgeri wurde in seiner Kindheit selbst Zeuge einer folgenschweren Katastrophe, als im Jänner 1954 der Ort Blons in Vorarlberg von einem Lawinenunglück ausradiert, ein Drittel der Häuser zerstört und 57 Menschen getötet wurden. In seinem 2005 erschienen Buch „Der Atem des Himmels“, das 2009/2010 auch verfilmt wurde, arbeitete er diese Tragödie auf und erlebte dabei die gesamte Bandbreite an menschlichen Gefühlen. In seiner Keynote „Empathie – Miteinander – Augenmaß“ stellt er die Frage, was mit Menschen geschieht, wenn sie völlig auf sich allein gestellt, zwei Tage auf Hilfe warten müssen. „Was passiert in uns, um uns, im Moment der Auslöschung einer Welt, in der Herzblut, Schweiß und Tränen steckten, wenn die Natur einfach zuschlägt und man sich schwer tut einen Schuldigen zu finden“, fragt Bilgeri. Dann erfordere es Empathie, die das Leid der anderen zum eigenen Thema mache und der gemeinsame Schmerz Hoffnung eröffne. Dann erfordere es Augenmaß und Respekt, um Neid und Missgunst entgegenzuwirken. „Katastrophen in solchen Dimensionen wie in Blons oder jetzt die Hochwasserkatastrophe in Niederösterreich können nur gemeinsam bewältigt werden. Eine gespaltene Gesellschaft ist eine schwache Gesellschaft“, zieht Bilgeri Bilanz.
Mit unermesslichem menschlichem Leid sah sich auch Franz Lang, ehemaliger Direktor des österreichischen Bundeskriminalamtes und geschäftsführender Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, während seiner 45 Jahre im Krisen- und Katastrophenmanagement immer wieder konfrontiert. Betroffen folgte das Publikum seinen Ausführungen über die Brandkatastrophe der Gletscherbahn Kaprun im Jahr 2000, bei der 155 Menschen ums Leben kamen. „Die besondere Herausforderung war einerseits das berechtigte öffentliche Interesse medial zu bedienen zugleich aber auch den Opferschutz zu wahren. Und auch die Helfenden, die Einsatzkräfte, standen unter enormen psychischen Belastungen, die für manche sogar zu viel wurden“ so Lang während seines Vortrags „Immer neue Bedrohungsszenarien, stets verlässliche Akteure“. In dieser Situation sei die Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden und Einsatzkräften der wichtigste Garant, „um aus dem anfänglichen Chaos, wo man zunächst ohne viel Information agieren muss, zu einem strukturierten Einsatzplan zu kommen.“ Hier sei Österreich durch die gut funktionierenden ehrenamtlichen Strukturen im Vorteil gegenüber vielen europäischen Ländern. „Die Qualität unserer Feuerwehren, unserer Rettungsdienste hinsichtlich Taktik, Performance aber auch was die Kapazität an Gerätschaft betrifft, ist einzigartig und ein Gut, das bewahrt werden muss“, so Lang weiter.
Zustimmung über die Durchschlagskraft der lokalen Ebene während akuter Krisen erhielt Franz Lang von Bernhard Heinl, Bürgermeister der Marktgemeinde Michelhausen im Tullnerfeld, die ganz besonders vom Hochwasser in Mitleidenschaft gezogen wurde. „In erster Linie braucht man Menschen, denen man vertraut, die man kennt und ein Netzwerk, wohin man sich wenden kann, um möglichst rasch Unterstützung zu erhalten“, resümiert Heinl aus den Erfahrungen der vergangenen Wochen. „Ausnahmesituationen beflügeln Menschen zu Ausnahmeleistungen. Wir werden diese Krise überwinden, da ein Grundzusammenhalt in der Gemeinde gegeben ist. Zusammenhalt in schwierigen Zeiten braucht eine funktionierende Gemeinschaft und stärkt diese Gemeinschaft auch“.
„Professionelle Nachbarschaftshilfe“ machte Thomas Hauser, Landesgeschäftsführer des Zivilschutzverbandes Niederösterreich, zum Thema. „Freiwilligenmanagement ist wichtig. Denn wenn sich Menschen melden, um zu helfen, muss man einen Plan haben, wie und wo man sie einsetzen kann. Dafür wurde die Initiative „Füreinander Niederösterreich“ ins Leben gerufen“. Auch freiwilliges Engagement müsse organisiert werden, so Hauser. „Organisierte Hilfe ist erprobt, durchdacht und auch effektiv.“
"Die Krise im Alltag – Leben zwischen Selbstfürsorge und Nachbarschaftshilfe“ war wiederum im Fokus von Coach Rita Aschenbrenner-Lang, die sich auf die Haltung, helfen zu wollen, bezog. Wichtig sei dafür, für sich selbst zu sorgen, damit man auch auf andere schauen kann. „Und schützen kann ich mich am besten, wenn ich mit mir selbst im Reinen bin.“
Den Abschluss des Symposiums bildete Heide Kerschbaumer, die ehemalige Schulleiterin der Innovativen Schule VS Emmersdorf. Mit großer Offenheit erzählte sie über ihren persönlichen Weg aus der eigenen Lebenskrise und ermutigte Betroffene „alle Farben des Regenbogens" zu sehen.